Die Kunst zu verzollen

Die Schweiz ist eine internationale Kunstdrehscheibe. Zwar werden Gemälde, Lithographien oder Skulpturen zolltechnisch nicht anders behandelt als andere Waren, dennoch hält das Thema ein paar besondere Herausforderungen bereit. Livio Coletta vom Zollinspektorat Basel-Flughafen ist auf diesem Gebiet Experte.

29.07.2021, Yvonne Siemann

Zeichnung Kunst verzollen

Livio Coletta vom Zollinspektorat Basel-Flughafen berichtet von den Herausforderungen, die Wertdeklarationen von Kunstwerken zu prüfen.

«So wie jedes Kunstwerk ein Unikat ist, ist auch jede Einfuhr eines Kunstwerks einzigartig», sagt Livio Coletta von Flughafen Basel-Mulhouse. Um die 10'000 Kunstwerke werden hier pro Jahr in die Schweiz eingeführt, täglich sind es zwischen 20 und 30. Dass Livio Coletta auf diesem Gebiet ein Experte ist, hat persönliche Gründe: «Kunst ist meine Leidenschaft, eigentlich ist es schon eine Besessenheit.» Seit etwa 10 Jahren beschäftigt er sich darum auch beruflich mit der Veranlagung von Kunstwerken. Nicht nur kann er dabei Wissen aus seiner privaten Leidenschaft einbringen, er lernt umgekehrt bei seiner Arbeit auch Künstlerinnen und Künstler kennen, von denen er vorher noch nie gehört hatte: zum Beispiel Kunst aus dem zeitgenössischen Vietnam oder junge Künstler aus Japan.

Was bedeutet Kunst aus zolltechnischer Sicht?
Was Kunst ist, daran scheiden sich bekanntermassen die Geister und jedem gefällt etwas Anderes. Jedoch gibt es gesetzliche Voraussetzungen zu erfüllen, wenn ein Künstler sein Werk steuerbefreit einführen möchte und in diesem Fall wird unterschieden zwischen zweckfreien Kunstwerken und kunstgewerblich hergestellten Waren. Ein teures Designermöbel gilt nicht als Kunstwerk, selbst wenn sich der Designer als Künstler versteht. Auch eine Videokünstlerin oder eine Fotografin profitieren nicht von dieser Regelung – dies nur als Beispiel für die vielen verschiedenen Bestimmungen. Ferner ist auch die Einfuhr eines Kunstwerks für ein öffentlich-rechtliches Museum abgabenfrei.

Was sind die Herausforderungen bei der zolltechnischen Abfertigung von Kunstwerken?
Während der Wert anderer Importgüter relativ einfach nachzuprüfen ist, stellen sich bei der Veranlagung von Kunstwerken spezielle Schwierigkeiten. Während die Verkaufspreise bei Auktionshäusern transparent sind, verhalten sich die Galerien in dieser Hinsicht sehr diskret. Anders gesagt existiert teilweise ein grosser Unterschied zwischen Primär- und Sekundärmarkt. Das bedeutet für uns: Die Gefahr besteht, dass der Wert falsch deklariert wird, um bei der Einfuhrsteuer zu sparen. Zwar kaufen etwa 90% der Zollkundinnen und Zollkunden Werke für unter 5000 Franken. Doch wenn etwa bei einer absichtlich oder versehentlich falschen Rechnung 130'000 Franken fehlen, entgehen dem Staat damit auch 10’000 Franken an Einfuhrsteuer.

Es gibt viele Beispiele: Kunstfotografien für einige Zehntausend Franken werden als einfache Poster oder Warenmuster deklariert, Umzugsgut erfüllt die Bedingungen für die zollfreie Einfuhr nicht… trotz verschärfter Kontrollen in den letzten Jahren stellen die Galerien immer noch falsche Rechnungen aus, manche ändern auch ihre Strategie und ändern den Namen des Exporteurs. Alles ist möglich! In solchen Fällen fordern wir die geschuldeten Abgaben nach und es gibt eine Busse.

Die bei einem Betrug am häufigsten eingesetzte Technik ist eine bar bezahlte Rechnung. Oftmals wird das Werk auch durch mehrere Überweisungen von verschiedenen Konten und manchmal aus verschiedenen Ländern beglichen und damit der bezahlte Gesamtwert verschleiert. Ein häufiges Problem besteht zudem darin, dass viele ausländische Galerien ungenügende Angaben machen. So fehlt etwa der Name des Künstlers oder die Art des Werks. Oft ist eine Beschau daher das einzige Mittel, um Unklarheiten auf die Spur zu kommen. Die Beschau erfolgt nicht rein zufällig, sondern beruht auf einer zielgerichteten und wohldurchdachten Risikoanalyse, bei der Faktoren wie Herkunft, Inhaltsangabe, Absender oder auch die Verpackung eine Rolle spielen.

Wie können Sie einschätzen, welcher Preis für ein solches Kunstwerk tatsächlich bezahlt wurde?
Das ist nicht einfach, da die Informationen schwierig zu erhalten sind. Für jeden Künstler und jede Künstlerin gibt es einen Primär- und Sekundärmarkt. Es ist eine Gleichung, bei der alle Parameter beachtet werden müssen.
Dabei muss man wissen, wie wichtig er oder sie im Moment ist, also den jeweiligen Marktwert kennen. Man muss ausserdem berücksichtigen, in welchen Galerien und Ausstellungen er oder sie präsent ist sowie, an welchem Punkt der Karriere er oder sie sich befindet. Dazu gilt es, Herstellungsart, ästhetische Qualität und kulturelle Bedeutung des Werks nicht ausser Acht zu lassen. Auch die kurzfristige allgemeine Marktsituation spielt eine Rolle beim Zustandekommen eines Kaufpreises.

Ein wichtiges Arbeitsinstrument für uns sind Internetdatenbanken oder die öffentlich einsehbaren Informationen der grossen Auktionshäuser. Wir ziehen auch externe Gutachterinnen und Gutachter bei. Schliesslich spielen noch unsere bisherigen Erfahrungen mit Sender und Empfänger eine Rolle.

Kurz gesagt: Um den Wert der importierten Kunstwerke schätzen zu können, muss man den Überblick über einen sehr dynamischen und komplexen Markt behalten. Ich lerne ständig dazu. Wenn einen das Thema nicht selbst interessiert, ist es dagegen schwierig.
 

2019* wurden laut Aussenhandelsstatistik Gemälde und Zeichnungen für 1,6 Mia. Franken eingeführt. Auch Original-Stiche, -Schnitte und Lithographien im Wert von 22 Mio. Franken und Bildhauer-Erzeugnisse im Wert von 500 Mio. Franken passierten die Grenze Richtung Schweiz. Allerdings schwanken diese Zahlen von Jahr zu Jahr stark und auch der Wertunterschied von Kunstwerk zu Kunstwerk kann sehr gross sein. Viele Kunstwerke werden jedoch nur vorübergehend für einen ungewissen Verkauf eingeführt. Solche Werke, die im Zollverfahren der vorübergehenden Verwendung eingeführt werden, erscheinen nicht in der Aussenhandelsstatistik. Auch Werke, die in Zollfreilagern liegen, fliessen nicht mit ein.

* Werte 2019, da Pandemiejahr 2020 nicht repräsentativ.

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